Liebe Leserinnen und Leser
Wer sich heute noch mit Ethnologie, der Wissenschaft von fremden, traditionellen und nicht-westlich geprägten Gesellschaften beschäftigt, muss sich fragen lassen, ob diese Wissenschaft überhaupt noch einen Gegenstand, ein Tätigkeits- und Wirkungsfeld hat. Zu sehr scheinen inzwischen auch die letzten, wenigstens noch teilweise traditonellen außereuropäischen Zivilisationen vom Kontakt mit der westlichen geprägten Lebensweise dominiert, wenn sich nicht gleich gänzlich verschwanden, vernichtet wurden. Zu sehr haben sich auch noch existierende Sozialstrukturen, Glaubenssysteme, Riten und Geplogenheiten in den letzten ein, zwei Dutzend Jahrzehnten unter dem Einfluss des Weltmarkts verändert.
Und doch hat sich gerade in dieser scheinbaren ethnologischen Götterdämmerung gleich eine ganze Reihe neuer wissenschaftlicher Ansätze aufgetan, von der postmodernen über die reflexive Anthropologie, die Praxistheorie, die post-koloniale oder gar post-humane Ethnologie bis hin zu Geerts‘ „writing culture“. Es sind Ansätze, auf die ich in einem vorhergehenden Essay kurz eingegangen bin, die allerdings m. E. wenig bis keine wirklichen Antworten auf die grundlegenden erkenntnistheoretischen Fragestellungen boten und bieten. Einer der jüngsten und auffälligsten Versuche der vor allem angelsächsischen akademischen Welt, der „Wissenschaft vom kulturell Fremden“ neues Leben einzuhauchen, hat sich jetzt darangemacht, die vor einem guten Jahrhundert in der deutschsprachigen Philosophie entstandene philosophische Schule der Phänomenologie bzw. phänomenologischen Methode für die ethnologische Forschung nutzbar zu machen.
Der Ansatz, obwohl ich ihm schon von Anbeginn allein aus philosophischen Überlegungen und einer länger zurückliegenden Rezeption von Schriften Theodor W. Adornos kritisch gegenüberstand, hat mich dennoch zu längerem Lesen und schließlich, einige Zeit nach Veröffentlichung meines erwähnten Essay zum vorliegenden Text motiviert, wozu auch die Tatsache beitrug, dass der ursprünglich in der angelsächsischen Wissenschaftswelt entstandene phänomenologische Ansatz inzwischen auch in der deutschsprachigen ethnologischen Wissenschaft Gefallen gefunden hat. Die Phänomenologie – diese Warnung gleich vorneweg – ist allerdings keine leichtverdauliche Disziplin, und das gilt auch für die Versuche ihrer ethnogischen Nutzbarmachung. Vor allem aber ist sie so vielschichtig und komplex, dass eine wirklich umfassende und erschöpfende Auseinandersetzung mit ihr im Zusammenhang einer ethnologischen Theoriediskussion kaum zu leisten ist. Der Text versucht dennoch, zumindest ansatzweise eine Idee von den Antinomien der phänomenologischen Philosophie zu geben, um anschließend die Versuche einer phänomenologishen Ethnologie zu diskutieren.
Ihnen, liebe Leser, an dieser Stelle Spaß bei der Lektüre zu wünschen, könnte der eine oder andere angesichts der nicht einfachen Aufgabe als zynisch missverstehen; deshalb lasse ich es, hoffe aber dennoch, dass die, die mit mir auf die beschwerliche gedankliche Reise gehen, dies am Ende mit Gewinn getan haben werden.
Ihr
Eckhard Supp
enos Wein
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Trinken (bis) weil der Arzt kommt
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enos Kultur
Von Sachen und Gedanken
Phänomenologisches für die Ethnologie von Eckhard Supp zur pdf-Version dieses Essays geht es hier … letzte korrigierte Version vom 28.6.2025 Inhaltsverzeichnis 0 – Einleitung I – Antinomien des Denkens II – Wesen, Sinn und Sein III – Zurück zu den Sachen: mit Methode IV – Phänomenale Ethnologie V – Gedanken auf Abwegen Literaturverzeichnis […]
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Eine Rezension von Eckhard Supp letzte korrigierte Fassung vom 12.5.24, 16h54 Die sozialen Medien machen dumm! Sagen viele, die glauben, es wissen zu müssen. Das mag teilweise sogar stimmen, aber kürzlich stolperte ich im Facebook-Eintrag eines Freundes über ein Zitat, das wirklich zum Nachdenken, sogar zum gründlichen Nachdenken anregte: „Es gibt nur eine Wahrheit, aber […]
Schlecht gebrüllt
Eine Rezension von Eckhard Supp Eigentlich hatte ich mir von Lars Hennings Buch über die Anfänge des Denkens[1] einiges versprochen. Und das nicht nur, weil ich durch eine unerwartete (Spam)-Mail erfuhr, dass der Autor in einer früheren Arbeit[2] zum Thema meinen immerhin schon einige Jahrzehnte alten Text über Australiens Aborigines[3] zitiert hatte. Die Neugier war […]
