Maschine siegt

Es gab Zeiten, da schien das Verhältnis zwischen mundgeblasenen und maschinengefertigten, in der Regel gepressten Weingläsern ein für allemal festgeschrieben. Erstere waren leicht, dünnwandig, mit feinem Stiel und – zum Leidwesen der Weinfreunde, gerne auch teuer. 30, 50 oder auch 90 Euro wurden da aufgerufen – pro Stück, versteht sich. Gläser aus der Maschine dagegen galten als plump, schwer, dickwandig und, nun ja, zumindest preiswerter.

Wer als Weinfreund etwas auf sich hielt, der griff wie selbverständlich zu den prestigeträchtigen Gläsern und hatte dann – natürlich! – auch gleich zumindest für eine kleine Zahl verschiedener Weintypen die richtige Auswahl Kelche parat. Wehe, wenn dann mal eines zu Bruch ging!

Bisher das Mass aller Dinge: mundgeblasene, handgefertigte Weingläser - hier bei Riedel/Kufstein (Fotos: E. Supp)

Dann lernten wir im Rahmen der Recherche über maschinengeblasene Gläser (Im Feuer geboren), dass diese im letzten Jahrzehnt den in Handarbeit hergestellten Gläsern in vielen Punkten verdächtig nahegekommen waren. Und dann die Düsseldorfer ProWein dieses Jahres: Die Kufsteiner Firma Riedel, die erst vor wenigen Jahren eine „superleichte“, mundgeblasene Kollektion in den Verkauf gebracht hatte, stellte maschinengefertigte Gläser gleichen Namens vor, die angeblich ihre eigenen Prestigegläser in den Schatten stellten.

Für uns Grund genug, uns einige Muster schicken zu lassen, um diese einmal einem „harten“ Vergleich untereinander und mit anderen Gläsern zu unterziehen. Für den ersten Vergleich nahmen wir das neue, maschinengefertigte Bordeaux-Grand-Cru-Glas der Serie „Superleggero“ und seinen handgefertigten Vorgänger heran. Der Wein der Wahl war der toskanische Siepi 2015 von Fonterutoli, ein Verschnitt aus Merlot und Sangiovese.

Mit bloßem Auge kaum zu unterscheiden: das mundgeblasene, etwas schwerere Bordeaux-Grand-Cru-Glas der bisherigen „Superleggero“-Serie llinks und das neue, maschinengeblasene mit dünnerer Glaswand, größerem Boden und schlankerem Stiel rechts.

Obwohl beide Gläser kaum auseinanderzuhalten waren, wie unser Foto deutlich zeigt, meinte man, beim Verkosten einen Unterschied zwischen dem Wein in den beiden riechen und schmecken zu können. Nur Einbildung? Ein Zufall, dass sich im leichteren Glas der Wein auch eleganter, feiner präsentierte? Nun ja, da gilt wohl wie so oft das Thomas-Theorem: Auch wenn der wahrgenommene Unterschied nur Frucht unserer Einbildung war, waren die Konsequenzen dieser falschen Wahrnehmung doch umso realer – das leichtere, feinere Glas war schnell leergetrunken.

Im zweiten Vergleichszyklus verkosteten wir zusammen mit den Hamburger Gastronomen / Sommeliers Elisabeth Füngers (Restaurant Nil) und Lennart Wenck (Restaurant Hygge) insgesamt acht verschiedene Weine in jeweils zweien von drei „Superleggero“-Gläsern: dem „Sauvignon blanc“, dem „Chardonnay“ und dem Bordeaux Grand Cru“ sowie zusätzlich in jedem Fall in unserem gewohnten Verkostungsglas der letzten Jahre, dessen Namen wir hier aus Gründen der Fairness nicht nennen.

Die Weine, die wir probierten, waren 1) ein 2022er Sauvignon blanc des Pfälzer Weinguts Meier, 2) ein 2017er Silvaner vom Würzburger Juliusspital, 3) ein 2021er Grüner Veltliner Natural von Jajszan-Neumann aus Wien, 4) ein 2014er Riesling Pechstein von Spindler in der Pfalz, 5) der 2019er Chardonnay von Monteverro (Toscana), 6) der 2018er Château Grand Corbin-Despagne aus Saint-Émilion, 7) die 2019er Chianti Classico Riserva Ducale Oro von Ruffino und, last but not least, 8) der 2007er Barolo Ginestra Case Maté von E. Grasso im Piemont.

Leichtes Spiel für die „Superleggero“-Gläser? Weit gefehlt. Klar, es gab auch eindeutige Resultate. Etwa beim Sauvignon blanc, bei dem die drei Verkoster unisono für das gleichnamige Riedelglas votierten, aus dem ihnen der Wein am besten schmeckte. Die Begründung? Das schmale Glas brachte nicht nur die Aromen markant und gebündelt zum Vorschein, sondern auch die Saftigkeit und enorme Frische des Weins am Gaumen. Die gleiche Einheitlichkeit im Votum gab es beim Bordeaux, der im gleichnamigen „Superleggero“ am besten schmeckte, und das, obwohl das Glas dem einen oder anderen ein wenig zu groß für den Wein vorkam. Interessant, dass auch der Veltliner-Natural in diesem Glas am besten wirkte.

Nicht mehr weit von den Parametern handgefertigter Gläser entfernt: maschinengeblasene Kelche bei Stölzle-Lausitz.

Ganz anders fiel das Verdikt beim Chardonnay aus. Der schmeckte nämlich allen aus dem Bordeaux-Glas am besten; da zeigte der Wein am meisten Frische, Struktur, Biss und Länge im Abgang. Aus dem Chardonnay-Glas wiederum wirkte der Chianti Classico für alle Verkoster am feinsten und komplexesten im Duft; er war fest, eher noch etwas zu sehr vom Tannin geprägt am Gaumen. Und noch einen Flight schloss das Chardonnay-Glas als Sieger ab, wenn auch nur durch ein 2:1-Votum: Es war der Grasso’sche Barolo, der nur einem Verkoster im Bodeaux-Glas besser gefiel.

Ebenfalls nicht eindeutig fiel das Resultat beim verkosteten Riesling aus, der auch in unserem „alten“ Verkostungsglas sehr gut bewertet wurde, immerhin ein Resultat, das unsere Wahl dieses Glases für die enos-Challenges rechtfertigt – und der sogar im großen Bordeaux-Kelch sehr gut ankam; genauso übrigens wie der fränkische Silvaner, der sogar ein Mehrheitsvotum im „alten“ Glas erzielte. Auch das eine Bestätigung unserer langjährigen Wahl.

Unser Fazit? Das perfekte Weinglas gab es bisher nicht und wird es wohl auch in Zukunft nicht geben. Immerhin hat Riedel mit der neuen Serie einen großen Schritt hin zur Perfektion bei gleichzeitig akzeptablen Preisen – der EVP für die Serie der neuen, maschinengefertigten „Superleggero“-Gläser liegt bei 35 Euro – getan. Eine für Weinfreunde insgesamt sehr positive Nachricht.

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