Dann passt du eines Tages nicht mehr in die Zivilisation

Einen Arbeitsplatz wie den des staatlichen Krankenhauses von Rundu im nördlichen Namibia, direkt an der Grenze zu Angola gelegen, würden sich vermutlich nur wenige Zahnärzte erträumen. Und doch ist die Leidenschaft bei Jeanette Bruwer noch heute zu spüren, wenn sie von ihrer Zeit „im Busch“ erzählt. Inzwischen ist sie zusammen mit ihrem Bruder Abrie Weingutsbesitzerin im südafrikanischen Robertson, und ihr Weingut Springfield gehört zu den besten des Landes. Weine wie der weiße „Life from Stone“ oder die roten „The Work of Time“ und „Whole Berry“ gelten als echte Klassiker. Anlässlich der jüngsten Düsseldorfer Weinmesse bot sich für enos die Gelegenheit, Jeanette ein wenig aus ihrem ungewöhnlich abenteuerlichen Leben erzählen zu lassen.

Angler auf Cape Agulhas. (Fotos: Morne Morais, E. Supp)

Es war eine fantastische Zeit.“ Jeanette Bruwers Augen leuchten, sie gerät ins Schwärmen. „Und ich war sicher, ich würde dort nicht nur viel Erfahrung sammeln. Sondern auch fast etwas Wildes, auf jeden Fall Anderes finden als den gewöhnlichen Alltag eines Zahnarztes, obwohl das mein Wunschberuf gewesen war. Fast drei Jahre dauerte die Arbeit in Rundu an der angolanischen Grenze. Ein außergewöhnliches Erlebnis.“ Es waren die Jahre des Übergangs, 1989 bis 1992. Nicht nur des Übergangs vom Apartheid-Regime ihrer Heimat zur Demokratie, sondern auch die des Übergangs vom angolanischen Bürgerkrieg, der seit dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft angedauert hatte, zum Wiederaufbau des Landes. „Wir behandelten damals nicht nur Kranke aus Namibia, sondern auch viele Angolaner.“ Es waren Menschen, die lange Jahre mit Waffengewalt gegen die Regierung in Luanda gekämpft hatten. Wilde Zeiten. Unsichere Zeiten.

Jeanette ist damals nicht alleine; sie hat den Mann an ihrer Seite. Auch der, selbst Mediziner, arbeitet im Krankenhaus von Rundu. Zu beider Arbeitsbereich gehört damals nicht nur die Stadt, sondern die gesamte Region vom Atlantik bis zur Grenze nach Botswana. 700 Kilometer, die oft nur aus der Luft zu erreichen waren. „Einmal im Monat flog das gesamte medizinische Team zu den anderen kleinen Kliniken entlang der Grenze. Schlafen mussten wir bei diesen Einsätzen immer in der offenen Steppe. Ein faszinierendes Leben. Abenteuer pur. Aber irgendwann kamen wir dann an den Punkt, an dem wir sahen, dass wir zurück mussten. Nach Kapstadt. Wir wussten beide: ‚Bleibst du noch länger, vielleicht für immer, dann passt du eines Tages nicht mehr in die Zivilisation.‘“

Die Wahl auf den Einsatz in Namibias Norden war nicht ganz zufällig gefallen. Jeanettes Familie hatte bereits seit zwei Generationen enge Beziehungen zu dem Land und besaß dort auch eine Farm. Eine, die Jeanette und ihr Bruder noch heute regelmäßig besuchen und auf der sie Rinder und Wild ziehen. „Mehr aus Sentimentalität oder weil wir der Meinung sind, nichts verkaufen zu dürfen, was wir von unserer Familie geerbt haben. Nicht so sehr, um dort Geld zu verdienen.“

Unweit des alten Arbeitsplatzes Rundu am Rande der Etosha-Pfanne gelegen, bietet diese Farm auch heute noch Abenteuerfeeling. Strom gibt es keinen, gekocht wird auf einer Feuerstelle, übernachtet im Freien, meist in kleinen Baumhäusern in der Nähe von Wasserlöchern. „Da sitzen wir dann, lesen ein Buch, trinken ein Bier und beobachten die Tiere. Die Giraffen zum Beispiel, die nach dem Trinken zu unseren Bäumen kommen und direkt neben uns die Blätter fressen. Die wenigen Tage, die wir dort bleiben können, sind immer wie ein Zurück zu unseren Wurzeln.“

Es sind Wurzeln, für die bereits die Großeltern sorgten. „Der Vater meines Vaters kelterte Wein in Robertson. Süßwein, da viele Möglichkeiten der modernen Önologie wie etwa die Kaltfermentation damals noch nicht zur Verfügung standen. Sein größter Kunde war mein Großvater mütterlicherseits, der aber 2.000 km weiter nördlich in Namibia lebte.“ Die kleinen Fässer voller Süßwein wurden mit der Bahn verschickt, und immer wenn der Zug einen Halt einlegte oder das Fass auf einen anderen umgeladen werden musste, erlaubten sich die Zugführer einen Schluck. Wenn der Wein dann Namibia erreicht hatte, fehlte in der Regel die Hälfte. Die Käufer berichteten, dass das Fass beim Öffnen aussah wie ein Stachelschwein. Die Zugführer hatten nämlich jedes Loch, das Sie ins Holz stechen mussten, mit Dornen wieder verschlossen, um ein vollständiges Auslaufen zu verhindern. So ging das, Fass für Fass, alle zwei Monate.

Mein Großvater war ein neugieriger Geist und entschloss sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Er ließ sein Auto auf den Zug verladen und fuhr so weit das 1915 möglich war. Dann ging es mit dem Auto weiter. Als er endlich das Haus der Eltern meiner Mutter erreichte, hatte er sich in das Land verliebt und kaufte gleich eine eigene Farm.

Vater und Mutter lernten sich so schon als Kinder kennen. Als Mutter mit 17 die Schule beendet hatte, musste sie noch bis zu ihrem 18. Geburtstag warten, um eine Ausbildung zur Krankenschwester beginnen zu können. Es war das Jahr, in dem mein Vater ein Jahr auf der Farm in Namibia arbeitete, und so geschah das Unvermeidliche: Die beiden verliebten sich und heirateten.“

Auch für die Kinder der beiden wird Namibia prägend. „Mein Vater nahm uns immer wieder zwei, drei Monate aus der Schule, und wir zogen auf die Farm. Vater meinte, die Schule des Lebens sei genauso wichtig wie die Schule der Lehrer. Oder wir fuhren mit dem Schiff nach Beira in Mosambik zum Angeln. Danach ging es wieder in die Schule, bis etwas Anderes passierte und wir wieder aus der Schule genommen wurden.“ Erst im Alter von 14 Jahren absolvieren Jeanette und ihr Bruder ein ganzes Jahr ohne Unterbrechung in der Schule.

Das war fantastisch“, schwärmt sie auch noch nach Jahrzehnten, „und ich hatte wirklich Glück, Mutter und Vater zu haben, die nicht reich waren, aber eine tolle Einstellung zum Leben hatten.“ Es war vielleicht auch ein wenig egoistisch von Seiten des Vaters. Der erlitt nämlich, als Jeanette sieben war, der Bruder ein Jahr älter, einen schlimmen Herzinfarkt, von dem er sich zwar erholte, danach aber entschied, dass er mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen wollte. „Nicht, dass er uns nicht gewarnt hätte. Eines Tages sagte er zu mir: ‚Ich weiß, dass wir euch viel Freiheit geben und euch anders als gewöhnlich erziehen. Vielleicht werdet ihr eines Tages einen Preis dafür zahlen müssen.‘“

Auch nach dem Infarkt hatte der Vater die beiden aus der Schule genommen, und war mit ihnen eineinhalb Monate zum Angeln nach Cape Agulhas gefahren, an den südlichsten Punkt Afrikas. „Wir hatten nur ein Gewehr, etwas Salz, warme Klamotten und Feldbetten dabei. Lebten vom Fischen und vom Jagen. Das war etwas, was uns Kinder für immer zusammenschweißte. Wir fuhren danach jedes Jahr zusammen campen, und als Vater 1999 starb, setzten mein Bruder und ich diese Tradition fort.“

So prägend wurden diese Erlebnisse, diese Liebe zur Natur, dass Jeanette auch später noch als Winzerin ihr Leben und ihre Arbeit daran ausrichtete. „Die ersten Märkte, auf denen ich für Springfield Weine verkaufen fuhr, suchte ich danach aus, ob man in den Ländern gut angeln konnte oder ob es hochwertiges Angelgerät gab. Das war nämlich im Südafrika direkt nach der Apartheid eine Seltenheit. Schweden war nur deshalb einer unserer ersten Märkte, weil es dort die bekannten Abu-Garcia-Rollen und -Spinnköder gab. Wir kauften immer neue Rollen, ließen im Geschäft aber alte Schnur aufwickeln, um den Zoll bei der Einreise in Kapstadt glauben zu machen, es handele sich um gebrauchte Geräte.

Unsere wichtigsten Märkte liegen auch heute noch am Meer, im Inland verkaufen wir meist nicht viel, und außerdem fahren wir auch privat zum Angeln in der Welt herum.“ Da muss es wohl auch nicht wundern, dass Jeanette und Abrie sich eines Tages entschieden, den besonders gelungenen Cabernet Sauvignon des Jahrgangs 1997 einige Jahre im Meer vor Cape Agulhas reifen zu lassen. „Wir hatten uns einen ziemlich stürmischen Tag zum Versenken der Flaschen ausgesucht, um sicher zu gehen, dass uns niemand dabei beobachten würde.“

Geplant war, das halbe Dutzend Gitterboxen mit je 98 Flaschen nur sechs Monate im Wasser zu lassen, aber das hieß, die Rechnung ohne das Meer zu machen. Es war schwerer als gedacht, die Weine wiederzufinden, und so wurden aus den sechs Monaten dreieinhalb Jahre. Erst als die beiden sich entschieden, sich Freunden anzuvertrauen, gelang es 2003 mit deren Hilfe, die Boxen wiederzufinden und zu bergen. Vermarktet wurde der Wein dann allerdings immer noch nicht. Das geschah erst nach insgesamt mehr als 20 Jahren.

Bis es dazu kam, musste noch viel passieren. Nach Namibia hatten sich Jeanette und ihr Mann in Kapstadt niedergelassen. „Wir lebten und arbeiteten dort sieben Jahre.“ Jeanettes Mann starb, als sie 29 Jahre alt war, Anfang der 1990er bei einem Unfall. Und dann tauchte eines Tages der Vater auf. Hatte um ein Gespräch gebeten, an einem Sonntagvormittag, den Anzug angezogen und seine Frau gebeten, im Auto zu warten. Und kam dann auch direkt auf den Punkt. Wenn sie noch ihre rechtmäßige Position auf der heimatlichen Farm einnehmen wolle, so lautete das Ultimatum, dann müsse sie innerhalb von drei Monaten ihre Praxis verkaufen und innerhalb eines Jahres in Robertson anfangen.

Klar wollte ich, aber ich bat mir trotzdem Bedenkzeit aus. Die Sache war die, dass mein Vater mich fragen musste. Wir stammen nämlich von französischen Hugenotten ab, und bei denen gilt ein anderes Erbrecht als sonst in Südafrika: Mein Bruder und ich erbten also im Regelfall den gleichen Anteil des Weinguts.“

Wie der Zufall will, besucht Jeanette am Abend eine Freundin, deren Mutter von einem gemeinsamen Bekannten erzählt. Der war Zahnarzt in London und wollte in Kapstadt eine Praxis eröffnen. „Ich rief ihn am nächsten Tag an, und innerhalb einer Woche war der Verkauf abgewickelt.“ Nicht immer waren die Zufälle dann allerdings von derselben positiven Art. „Ich übergab dem Kollegen am 1. Mai 1999 die Schlüssel zu meiner Praxis. Am 2. Mai starb dann mein Vater, kaum 60-jährig, an Malaria, mit der er sich wenige Tage zuvor infiziert hatte. Seit jener Zeit führen mein Bruder und ich Springfield gemeinsam. Ohne die Gewinne, die das Gut abwirft, für uns zu beanspruchen. Wir investieren alles zurück in den Betrieb und betrachten uns nicht als Besitzer, eher als Pfleger des Landes. Das ist etwas, was in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde.“

Es ist wohl die Mischung aus dieser generationenalten Tradition, aus dem besonderen Verhältnis zur Natur und dem Bewusstsein, beim Wein zur kleinen Qualitätselite Südafrikas zu gehören, die für Jeanette und Bruder Abrie zu einer ganz besonderen Lebensphilosophie gewachsen ist. „Wir haben einen wunderbaren Lebensstil. Viele glauben, Lifestyle bedeute, reich oder berühmt zu sein, schicke Autos zu fahren. Für mich bedeutet Lifestyle, der Erde, der Natur nahe zu sein, zu angeln, zu tauchen, zu segeln. Das gilt vor allem für die vielen weiten Reisen, die ich für das Weingut machen muss. Wenn ich danach segle oder angle, finden mein Körper und meine Seele wieder zusammen. Nach den langen Reisen, nach den vielen Gesprächen ist der Ozean der Ort, wo ich wieder zu mir komme. Und eine enorme Ruhe und Zufriedenheit finde.“

Diese Ruhe prägt auch das Weinmachen auf Springfield. „Wir haben ja erst seit dem Ende der Apartheid, seit Nelson Mandela aus der Haft entlassen wurde, angefangen, Weine für den internationalen Markt zu erzeugen. Unter der Apartheid konnten wir weder reisen, noch Weine ins Ausland verkaufen.“ Jeanette lacht. „Und Geld hatten wir auch keines. Als dann die Wende da war, mussten wir ziemlich schnell lernen. Wir haben natürlich auch jede Menge Fehler gemacht, und eigentlich lernen wir nach nur 24 Jahren in der Freiheit immer noch. Wir wollen unsere Weine immer besser machen, ohne zu Sklaven des Massengeschmacks zu werden. Wir machen sie, wie wir es für richtig halten, und suchen dann Märkte. Nicht umgekehrt! Und wir füllen die Weine nur, wenn wir wirklich von ihnen überzeugt sind. Bei unseren beiden ,Méthode-ancienne’-Weinen, einem Cabernet und einem Chardonnay, arbeiten wir mit Spontanhefen. Das geht mal gut, mal nicht. Wenn wir Pech haben, gibt’s Essig. So wie 2013, 2014 und 2015.“

Im Betrieb ist die Arbeitsteilung klar. Jeanette kümmert sich um’s Administrative, um die Vermarktung, vor allem den Export der Weine und darum, dass die Kellerarbeit läuft. Bruder Abrie ist der Weinmacher von Springfield. Und da ist sie wieder, diese ungewöhnliche Einstellung zur Arbeit und zum Leben. Klingt abgedreht, verrückt, ist es aber nicht wirklich, wenn Jeanette erzählt: „Wir beurteilen die Qualität eines Jahrgangs danach, wie oft wir in der Erntezeit zum Angeln kamen. Weil uns das zeigt, dass wir im Weinberg richtig gearbeitet haben und im Keller alles glatt geht. Und wir hatten schon eine ziemliche Menge sehr guter Jahrgänge. Manchmal fühlen wir uns fast ein wenig schuldig. Und schauen uns dann doch an und sagen: ‚Das Wochenende war wirklich schlechtes Wetter. Aber morgen soll’s schön werden. Lass uns nach Cape Agulhas zum Angeln fahren.‘“ Sagt’s und schüttet sich vor Lachen fast aus. Recht hat sie: Ein solcher Lebensstil ist etwas, „das man mit Geld nicht kaufen kann“.

Dieser Artikel wurde zuerst in enos 3/2018 veröffentlicht.
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