Die Paradoxien des Monsieur Bertrand

Juni 2023
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Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. So könnte das Fazit einer Reise lauten, zu der Gérard Bertrand, seines Zeichens ungekrönter Weinkönig des französischen Languedoc, eingeladen hatte. Es war auf den ersten Blick eine Einladung, um einen einzigen Wein kennenzulernen: einen Rosé mit dem schönen Namen „Clos du Temple“, für den, so beschied Google, in der Regel der stolze Preis von 200 Euro aufgerufen wird. 200 Euro pro Flasche, im Einzelhandel, nicht etwa in der Gastronomie, um gar nicht erst Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Ein einziger Wein? Eigentlich kein Grund, eine solche Reise überhaupt in Erwägung zu ziehen. Andererseits: Der Preis machte schon neugierig. War der überhaupt ernst gemeint? Oder war das Ganze doch nur ein Scherz, „Fake News“ sozusagen? Nun, der Flug von Hamburg nach Toulouse jedenfalls war echt, das Weingut, zu dem es anschließend ging, offenbar auch. Verloren in den Hügeln um Cabrières, auf halbem Wege zwischen Montpellier und Narbonne, hatte Betrand dort, wie schnell zu sehen war, groß „anrichten“ lassen.

Das Ballett der Paradoxien im Imperium Gérard Bertrands hielt so manche Überraschung parat. (Foto: E. Supp)

Das Ballett der Paradoxien konnte beginnen, und als überraschter Beobachter konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier der Versuch unternommen wurde, alle möglichen, eigentlich inkompatiblen Welten in einem einzigen Marketingmix zusammenzurühren. 200 hippe und weniger hippe Sommeliers aus aller Welt hatte Bertrand für seine große Show eingeladen, und die schienen das Ganze denn auch eher als schöne Sommerparty, denn als Informationsreise zu betrachten. Schickimicki-Lifestyle, wohin man schaute, von den durchsichtigen Pumps der Damen im Weinberg, bis zum stolz präsentierten Männertorso im Strandlokal - erlaubt war, was aussah.

Paradoxien vor allem beim Festdinner des ersten Reiseabends, das inmitten der Reben der Domaine du Temple abgehalten wurde: weißgekleidete Violonistinnen unweit des braven Maultiers, das als lebendiger Beweis der biodynamisch orientierten Weinbergsarbeit am Parcours der Besucher platziert worden war, fröhlich stimmender Rosé, der in Strömen floss, begleitet von an Dramatik nicht zu überbietender Hintergrundmusik – sogar der Wagner'sche „Ring der Nibelungen“ hätte hier perfekt gepasst – und als Kontrast zum naturverbundenen Anspruch in der Weinbergsarbeit ein High-Tech-Spektakel mit Lightshow und einem computergesteuerten Drohnenballett ... Es war die Welt der Paradoxien des Monsieur Bertrand.

Sommeliers bei der Arbeit oder Schickimicki-Lifestyle im sonnigen Süden?

So ganz nebenbei erfuhr der geneigte Besucher dann auch einige Details zum Wein des Abends: 15.000 Flaschen jährlich, erster Jahrgang 2018, ausschließlich aus Cinsaut-Trauben gekeltert, die auf Schiefer- und Kalkböden der einzigen reinen Rosé-Appellation des Languedoc wachsen. Was allerdings genauso wenig wie die popmpösen Spektakel die Frage beantwortete, ob der Wein seine 200 Euro wert sei.

Womit wir beim Wein, besser bei den Weinen wären, denn entgegen möglicher Befürchtungen ging es dann am Ende doch nicht nur um den einen Rosé, sondern um teilweise mehr als beachtliche Weine aus 14 der insgesamt 17 Weingüter des Bertrand'schen Imperiums. Bleiben wir zunächst beim Rosé. Ausgeschenkt wurden drei der Jahrgänge von 2019 bis 2022, die ausnahmslos gute Frische zeigten und für Rosés erstaunlich stoffig und strukturiert wirkten. Am komplexesten war der 2020er mit seinen leicht nussigen und vegetabil-kräuterigen Aromen. Während der 2022er mit etwas mehr Reife noch gewinnen dürfte, war der 2019er zwar noch frisch, wirkte aber weniger vielversprechend für die Zukunft.

Während die Weißen etwas weniger aufregend waren, zeigten die besten Roten große Klasse und versprachen auch Alterungsfähigkeit, allen voran der Minervois Clos d'Ora und der La Clape L’Hospitalitas, beide von 2020. Da war es dann auch noch einmal, das Preisschild "200 Euro", das jetzt am Clos d'Ora „klebte“ – nachvollziehbarer, wie viele der Gäste meinten, als im Falle des Clos du Temple.


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Unsere Top 5

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Le Viala - Gérard Bertrand (La Livinière) – Minervois La Livinière Clos d’Ora 2020
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L’Hospitalet - Gérard Bertrand (Narbonne) – La Clape L’Hospitalitas 2020
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Domaine du Temple - Gérard Bertrand (Cabrières) – Languedoc-Cabrières Clos du Temple 2020
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La Forge - Gérard Bertrand (Boutenac) – Corbières Boutenac La Forge 2020
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Le Viala - Gérard Bertrand (La Livinière) – Minervois Le Viala 2020

 

 

Sämtliche Weine mit VKN

Domaine de Aigle Royal - Gérard Bertrand • 11300 Roquetaillade-et-Conilhac •

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Haute Vallée de l’Aude Pinot noir 2020 : gutes Rot, schwarze und rote Beeren, eine Spur Lakritz, am Gaumen dicht und fest, noch präsentes, leichtes Tannin, fehlt etwas aromatisches Volumen


Domaine de Cigalus - Gérard Bertrand • 11200 Bizanet •

****

Pays d’Oc Cigalus blanc 2022 : helles Strohgelb, verhaltene, aber sehr feine Frucht, eine Spur Banane, am Gaumen Äpfel, einfach, aber geradlnig und gut, etwas Baumrinde und vegetabile Noten, fruchtiger Schmelz trägt den Wein


Domaine La Forge - Gérard Bertrand • 11200 Boutenac •

*****

Corbières Boutenac La Forge 2020 : diichtes, gutes Rot, lebendige Farbe, im Duft süße, dunkle Beeren, dicht, saftig am Gaumenn mit elegantem Tannnin, Länge, Ausdruck, Frische


Château L’Hospitalet - Gérard Bertrand • 11100 Narbonne • www.chateau-lhospitalet.com

****

La Clape Château L’Hospitalet Grand Vin blanc 2022 : strohgelb, Apfel, Orange im Duft, vegetabile Noten,, am Gaumen stoffig, mit süßer Frucht, Aromatik verhalten, noch allzu viel Länge, öffnet sich aber im Glas recht gut

*****?

La Clape Château L’Hospitalet Grand Vin 2017 : dichtes, noch frisches Rubin, würzig-kräuterig im Duft, balsamische Beeren, fest, stoffig, nocht gutes und markantes Tannnin, Länge im Abgang

****+

La Clape Château L’Hospitalet Grand Vin 2020 : dichtes Rubin, süße Brombeeren im Duft, gute aromatische Tiefe mit Tabak und Schoko-Noten, gute Dichte, Tannine, schöne Frucht und Länge, kann reifen

*****

La Clape L’Hospitalitas 2020 : dunkles, bis in den Rand dichtes Rubin, anfangs verhalten, dann kräuterig-beerige Frucht, dicht,, mit guter Frucht und festem Tannnin am Gaumen, Länge und Eleganz, sehr guter Wein, kann weiter reifen


Château de la Sauvageonne - Gérard Bertrand • 34700 Saint-Jean-de-la-Blaquière •

****

Terrasses du Larzac Château de la Sauvageonne Grand Vin 2017 : dichtes, schönes Rubin,, bananig-beerig im Duft, Säure und Tannnin noch etwas unbalanciert, stoffig, gut, kann reifen

*****?

Terrasses du Larzac Château de la Sauvageonne Grand Vin 2020 : gutes, lebendiges Rot, würzige Frucht in der Nase, Kräuter und Beren, am Gaumen dicht und saftig, festes, feines Tannin, aromatischer Ausdruck und Länge im Abgang, etwas Wärme vom Alkohol


Domaine de La Soujeole - Gérard Bertrand • 11250 Montclar •

****

Cité de Carcassonne Sauvignon blanc 2022 : strohfarben, feiner Duft mit süßer Birne, am Gaumen saftig und fruchtig, guter, frischer Sauvignon

****

Malepère Château de la Soujeole Grand Vin 2020 : dichtes Rot, leicht gereift im Rand, verhalten im Duft, am Gaumen wenig aromatischer Ausdruck, lebendige Säure, aber etwas wenig Tiefe und Länge


Domaine du Temple - Gérard Bertrand • 34800 Cabrières •

****

Languedoc-Cabrières Clos du Temple 2019 : schlank, noch gute Frische, Struktur am Gaumen, geradliniger Rosé

*****

Languedoc-Cabrières Clos du Temple 2020 : dicht und intensiv, nussige und vegetabil-kräuterige Noten, noch viel Frische am Gaumen

****+

Languedoc-Cabrières Clos du Temple 2022 : frisch, noch verschlossen, braucht lange, bis er sich im Glas öffnet, dann schmelzige Dichte


Domaine Le Viala - Gérard Bertrand • 34210 La Livinière •

*****

Minervois Le Viala 2020 : dichtes Rot, verhalten im Duft, mit der Lüftung schwarze Beeren und Schokonoten, dicht, saftig, aromatisch, kann noch reifen, gutes Tannnin

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Minervois La Livinière Clos d’Ora 2020 : gutes Rot, anfangs balsamisch-bananige Nase, dann dunkle Beeren, mit der Lüftung Schokolade, am Gaumen großer, dichter und saftiger Körper, wieder schwarze Beeren in den Aromen, Stoff und Saft gehalten von reifefähigem Tannin


Château de Villemajou - Betrand • 1 xx •

***

Corbières Château de Villemajou Grand Vin 2022 : helles Stroh, Apfelschale im Duft, recht markante, offene Aromen, am Gaumen zu einfach, nur etwas Äpfelsäure, wenig Tiefe und Länge

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Corbières Boutenac Château de Villemajou Grand Vin 2017 : dichtes, noch frisches Rubin, schwarze und blaue Beeren im Duft, etwas süße Würze, gute Balance am Gaumen, Sstoff und Struktur, Aromen aus der Nase, gute Länge


Unser Punktesystem

 

--/??
offen fehlerhafter oder nicht zu beurteilender Wein (z. B. Korkschmecker, Flaschenproblem)
*
zu einfacher, evtl. auch fehlerhafter Wein, nicht empfehlenswert
**
Wein mit einem Minimum an Qualitäten, akzeptabel wenn im unteren Preisbereich
***
befriedigender, ansatzweise typischer Wein, angenehm zu trinken
****
guter bis sehr guter Vertreter seiner Art und seines Jahrgangs
*****
Spitzenwein von internationalem Format
*****
Traumweine, die kleine Elite
+
evtl. noch Potenzial nach oben
?
nicht eindeutig zu bewertender Wein, braucht evtl. noch Zeit
 
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