Wer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Weine und ihre verschiedenen Jahrgänge bewertete, durfte - entsprechende Erfahrung vorausgesetzt - ganz legitim im einen oder anderen Fall von Jahrhundertjahrgängen sprechen. Seither hat sich diese Kennzeichnung allerdings inflationär verselbständigt und so, wie sie in den letzten Jahren verwendet wird, ist sie ausgesprochen lächerlich. Nicht nur, dass es wie eine Frühgeburt wirkt, wenn Kritiker von Jahrhundertjahrgängen sprechen, wo doch gerade mal ein Sechstel oder Fünftel des entsprechenden Jahrhunderts ins Land gegangen sind, und keiner weiß, wie sich der Rest entwickeln wird. Oder glaubt jemand, das in Zeiten eines dramatischen Klimawandels prophezeien zu können. Auch die gelegentlich vorgebrachte "Erklärung", gemeint seien jeweils die letzten hundert Jahre bis zum Jahrgang "X", wirkt wenig überzeugend, denn dann müsste man einen Baby-Jahrgang mit grandiosen Weinen aus alten Zeiten vergleichen, die man allein aus Altersgründen in der Regel in diesem jugendlichen Stadium nie kennengelernt hat. Der eine oder andere Wein wird diesem eilig in die Debatte geworfene Attribut ohnehin schon in seiner Jugend nicht gerecht, von möglichen Überraschungen im Verlauf der Alterung ganz zu schweigen.

Wir waren im Falle der Weine des Jahrgangs 2011 aus dem Bordelais erstaunt, wie kritisch dessen Weine oft behandelt wurden, und wir sind jetzt erstaunt, mit welchen Über-drüber-Komplimenten der gerade in den Verkauf gelangte 2016er Jahrgang hochgejazzt wird. Natürlich gab es 2016 links und rechts der Gironde herrliche Weine. Aber es gab auch Weine die weniger überzeugend wirkten. Zumindest auf uns. Bedauerlich ist es in diesem Zusammenhang, dass sich Weinkritiker mit ihren vernichtenden oder über alle Maßen jubilierenden Urteilen objektiv gesehen vor den Karren eines Weinhandels spannen lassen, der der einzige Profiteur solch pauschaler Bewertungsorgien scheint. Sensationalismus um jeden Preis hat - zumindest für enos - auch beim Wein nichts zu suchen. Genausowenig übrigens wie im Politik-, Wirtschafts-, Gesellschafts- oder Wissenschaftsjournalismus.
Der langen Rede kurzer Sinn: In deutlich mehr als der Hälfte der Weine, die wir anlässlich der letzten ProWein in Düsseldorf verkosten konnten, stand der 2016er Jahrgang obwohl sehr gut, keineswegs so meilenweit über den Rest der Jahrgänge, dass sich eine Qualifikation als "Jahrhundert" hätte rechtfertigen lassen. Die Weine waren sehr gut bis ausgezeichnet. Und damit basta!