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Mythos Mineralität

Mythos Mineralität

Manchmal machen auch ernstzunehmende Wissenschaftler Aussagen, die bei genauerem Hinsehen nur staunendes Kopfschütteln auslösen können. So etwa der renommierte Geologe Alex Maltman, seines Zeichens Professor an der Universität im walisischen Aberystwyth, der sich vor einigen Jahren in verschiedenen Aufsätzen bzw. Vorträgen über die geschmackliche „Mineralität“ in Weinen zur Behauptung verstieg, die Geschmacksbeschreibung „mineralisch“ und die Diskussion über „Mineralität“ seien noch sehr junge „Erfindungen“ „populistischer Weinschreiber“, und man habe noch bis in die Nullerjahre nie von ihnen gehört. In einem Aufsatz von 2013 zitierte er zum Beweis unter anderem Standardwerke aus der Zeit vor 2000, in denen solche Begriffe nicht auftauchten, und präzisiert, noch vor nur „eine(r) Dekade“ seien diese Begriffe praktisch inexistent gewesen.

Gute Önologen können nicht nur aus Trauben von mineralhaltigen, steinigen Böden, sondern auch aus solchen von fetten Böden mineralische Weine erzeugen. (Fotos: E. Supp)

Nun mag man Maltman zugute halten, dass er vielleicht nur englische Autoren (bzw. Übersetzungen) zu lesen in der Lage war, oder dass er glaubte, das Universum der Weinliteratur bestehe ausschließlich aus englischsprachigen Texten, aber das macht seine Behauptung nicht richtiger. Es ist wohl richtig, dass das große Weinlexikon von Jancis Robinson die Begriffe „Mineralien“ und „mineralische Nährstoffe“ kennt, nicht aber die Geschmacksbezeichnung „mineralisch“. Aber: Der französische Önologe David Lefebvre stellte kürzlich in einem Interview mit lerougeetleblanc.com fest, dass die Bezeichnung bereits seit vielen Jahrzehnten existiert, wobei sie in den verschiedenen Weinbauregionen immer unterschiedlich definiert wurde. Auch der bekannte Weinjournalist Jens Priewe und ich selbst veröffentlichten bereits Anfang der Nullerjahre Weinlexika (in meinem Fall der „Brockhaus Wein“), in denen der „Mineralität“ mehr oder weniger ausführliche Artikel gewidmet waren.

Auch beim Sichten meiner eigenen Verkostungsnotizen konnte ich feststellen, dass Bezeichnungen wie „Mineralton“, „mineralisch“ etc. bereits unter den ältesten Eintragungen von 1990, dem Startjahr meiner Datenbank (www.enos-wein.de/verkostungsdatenbank/) auftauchen („schöner Mineralton, Herbstblätter, gutes Bukett“) – im gesamten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende dann mehr als 350 Mal. Nein, so vermessen, mich als „populistischen Erfinder“ dieser Bezeichnung zu wähnen, bin ich nicht und deshalb auch sicher, dass diese Begrifflichkeiten schon in den 1980er Jahren – und früher – durchaus gebräuchlich gewesen sein müssen, sonst hätte ich sie nicht verwendet und Kollege Priewe nicht darüber geschrieben.

Abgesehen von dieser historischen Fehleinschätzung aber brachte Maltman mit seiner kritischen Aufarbeitung der „kindischen“ Vorstellungen, Weine könnten nach den Mineralien der Böden schmecken („infused in the wine … is a taste of the soil“, im Wein ist der Geschmack des Bodens gelöst), auf denen ihre Trauben wachsen, die Diskussion um „Mineralität“ oder auch „Terroir“ im Wein ein gutes Stück weiter.

Der Geologe wies darauf hin, dass Reben zwar Mineralien in Form von Ionen als Nährstoffe aus dem Boden aufnehmen, diese aber schon aufgrund ihrer physikalisch-chemischen Eigenschaften keine Rolle als Geschmacks„lieferanten“ spielen können, da sie in der Regel nicht volatil sind, also schlichtweg nicht riechen, eine Tatsache, die auch Lefebvre unterstreicht. Wenn also, so seine Argumentation, die „Geologie“ in Gestalt von Topografie, Klima bzw. Wetter und andere physikalisch-geologische Eigenschaften der Weinberge wie Hangneigung, Bodentiefe, Höhenlage, Gesteinshärte, Wasserführung, Luftbewegung, Wärmespeicherung oder pH-Wert Einfluss auf den Weingeschmack haben, dann könne sich dieser Einfluss nur indirekt bemerkbar machen, vermittelt über Reife, Säuregehalt, Gärverhalten etc., nicht aber als direkter Einfluss von Gesteinseigenschaften im Wein.

Hinzu komme, dass die Anlage von Terrassen, die Oberflächenbearbeitung, das tiefgründige Präparieren schwieriger Böden die Bodenformationen oft massiv veränderten, wie Maltman am Beispiel von drei Jahrhunderten der Bodenbildung auf Château Latour oder auch an dem über die Zeit enormen Eintrag von Ton und Schlick in die Weinberge der Champagne zeigt. Die meisten physikalischen Eigenschaften von Weinbergen unterlägen Veränderungen durch die routinemäßige Arbeit des Menschen, so der Wissenschaftler.

Schmecken die Weine von der berühmten roten Erde des australischen Coonawarra wirklich nach deren Mineralien?

Gestützt wird diese These sowohl von der Tatsache, dass Böden von Weinbergslagen, denen man etwa im Burgund einheitlichen „Terroir“charakter nachsagt, geologisch wie lithologisch sehr heterogen sein können, als auch dadurch, dass sich ähnelnde Bodenformationen in unterschiedlichen Regionen durchaus verschieden schmeckende Weine hervorbringen können. Selbst wenn man also, so Maltman, einen indirekten Einfluss der physikalischen Geologie auf den Weingeschmack annehmen wolle, sei die Wissenschaft noch weit davon entfernt, diesen konkret entschlüsseln und verstehen zu können, wobei ein solcher indirekter Einfluss ohnehin himmelweit von der Behauptung entfernt sei, man könne im Wein die Mineralien des Bodens schmecken.

Nur wenig später als Maltman beschäftigte sich auch Ulrich Fischer, Leiter des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Rheinpfalz, mit der „Mineralität“. Sein Forschungsansatz war nicht primär die Weinbergsgeologie, sondern u. a. im Rahmen ausführlicher Verkostungen der Wein selbst. Die wohl schockierendste – zumindest für Freunde des „Mineralitäts“gedankens – Schlussfolgerung seiner Studien fasste er kürzlich noch einmal in einem Interview mit dem Internetportal wein.de zusammen.

Fischers zentrale Aussage: Mineralisch schmeckende Weine enthalten paradoxerweise meist vergleichsweise wenig Mineralien. Tatsache ist, dass Weine aus Trauben mit hohem Mineralgehalt wie Calcium, Magnesium oder Kalium am Gaumen sogar weniger mineralisch wirken können, da diese Mineralien geschmacklich die Säure des Weins abpuffern. Fischer weist darauf hin, dass gute Önologen nicht nur aus Trauben von mineralhaltigen, steinigen – er nennt Buntsandstein, Granit und Porphyr –, sondern auch aus solchen von reichen, fetten Böden mineralische Weine erzeugen können. Wenn er, so seine These, etwa in Rheinhessen mineralische Weine machen solle, müsse er nur mit mehr Trub und wärmerer Gärführung sowie reduktiv durch Zugabe einer ausreichenden Dosis Schwefeldioxid arbeiten, wodurch sich im Wein verstärkt Thiole und Benzole bildeten, die „Mineralität“ suggerierten.

Für den Forscher entsteht das Geschmacksbild, das man gemeinhin „Mineralität“ nennt, durch „Säure, Zitrusaromen und schwefelhaltige Stoffe“ und lässt sich eher bei Weinen antreffen, in denen die üblichen primären, sekundären oder tertiären Aromen nur sehr „dezent“ ausgebildet sind. Im erwähnten „Brockhaus Wein“ hatte ich das 2004 mit den Worten beschrieben: „Man spricht von der Mineralität von Weinen; sie wird meist als Abwesenheit eines markanten Fruchtcharakters oder ausgeprägt tertiärer Aromen (Leder, Teer etc.) definiert."

Man muss wohl auf der Suche nach Mineralität nicht so weit gehen wie Lefebvre, der die Geschmacksbeschreibung „mineralisch“ einerseits komplett aus dem Geruch verbannt und nur im Geschmack gelten lässt, sie aber andererseits durch die Hintertür wieder einführt. Er weist ja selbst darauf hin, dass „Mineralität“ wie sie von Verkostern etwa als „Feuerstein“, „Silex“ beschrieben wird, durch organische Schwefelverbindungen und nicht durch (anorganische) Mineralien oder Mineralsalze hervorgerufen werden. Das allerdings verschiebt das Problem nur, anstatt es zu lösen.

Fischer schließlich postuliert, dass für die Ausprägung von „Mineralität“ der Weinmacher und die Kellertechnik wichtiger seien als die chemische Zusammensetzung der Böden, auf denen die Trauben wachsen. Bleibt am Ende nur die Frage, warum sich für diesen geschmacklichen Ausdruck dann der Begriff „Mineralität“ überhaupt eingebürgert hat. Vielleicht, weil diese Abwesenheit der üblichen Weinaromen an Steine erinnert? Die riechen ja bekanntlich auch nach nichts.

Dieser Artikel wurde zuerst in enos 1/2022 veröffentlicht.
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