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Die Beaujolais-Story

Es war einmal …“, so beginnen viele Märchen. Und sie schließen in der Regel mit einem Happy End: „… und wenn sie nicht gestorben sind, dann …“. „Es war einmal …“, könnten auch die Winzer des französischen Beaujolais, einer Hügellandschaft des südlichen Burgund, erzählen. Nur wird man bei deren Geschichte wahrscheinlich noch eine ganze Weile auf einen glücklichen Ausgang warten müssen. enos fuhr nach Romanèche-Thorins und ließ sich von Eric Janin, einem der bekanntesten Winzer der Region, erzählen, warum dieser Geschichte kein rasches Happy End gegönnt war.

Eric Janin vom Weingut Paul Janin & fils zählt zu den besten Erzeugern des Beaujolais.

„… ein genialer Weinhändler aus dem Örtchen Crêches-sur-Saône“, würde die Geschichte weitergehen und von einem Marketinggenie handeln, das sich Anfang der 1950er Jahre, gerade mal 17 Jahre alt, aufmachte, die Weinlandschaft seiner Heimatregion so gründlich umzukrempeln wie wohl kein zweiter vor ihm und nach ihm in der großen Weinwelt. Die Rede ist von Georges Dubœuf. Viel Neues erfinden musste er dabei nicht, denn die Zutaten für das, was Dubœuf ersann, existierten schon vorher. Dazu gehörten sowohl die Rebsorte Gamay, die auf den meisten Böden des Beaujolais-Gebiets eher fruchtbetonte, rasch zu trinkende Weine hervorbrachte – in nördlicheren Teilen des Burgund war sie wohl deshalb auch schon 1395 von Philipp dem Kühnen verboten worden –, als auch eine spezielle Art der Weinbereitung.

Diese so genannte „vinification beaujolaise“ bediente sich einer speziellen Gärtechnik, bei der der Großteil der Trauben zunächst ungemahlen bzw. ungequetscht in einen Tank mit einer kleinen Menge schon gärender Trauben und daher voller Kohlendioxid gegeben wird, wo ihre Enzyme unter Luftabschluss damit beginnen, im Inneren der noch intakten Beeren Aromastoffe zu produzieren. Erst abschließend kommt es zu einer klassischen Maischegärung. Das Resultat dieser Prozedur sind Weine, die schon nach wenigen Tagen oder Wochen trinkfertig sind, die allerdings sehr oft auch nur wenige Wochen oder Monate genießbar bleiben.

Das alles“, überlegt Eric Janin, „gab es schon vor Dubœuf. Das Beaujolais war ja traditionell ein Weinbaugebiet mit zwei verschiedenen Weintypen. Auf der einen Seite die ‚crus‘, die Lagenweine wie Moulin-à-Vent, Fleurie oder Morgon, Weine hoher Qualität von Granitböden, die gute Alterungsfähigkeit besaßen. Auf der anderen Seite die der generischen Appellationen Beaujolais oder Beaujolais Villages, wo man Weine von einem andern Schlage kelterte. Die waren süffig und sehr aromatisch, leckere Weine, die sich aber sicher nicht für längeres Reifen eigneten.“

Und es gab ja für diese Weine auch eine starke Nachfrage. Europa hatte ja gerade erst die Reblauskatastrophe und den Zweiten Weltkrieg überstanden. Da kam der Gamay, der im Unterschied zu anderen Rebsorten früh trinkreif war, gerade recht. Lyon und vor allem auch Paris verlangten solche Weine; auf der Achse Belleville, Beaujeu, Charlieu zirkulierten enorme Weinmengen. Der wirkliche Durchbruch aber kam, als Dubœuf es schaffte, das Image dieser Weine mit einem Event zu verknüpfen.“

Die Gelegenheit dazu bot ein Dekret von September 1951. Mit dem wurde zwar festgelegt, dass Beaujolais erst vom 15. Dezember des Erntejahres an verkauft werden dürfe, aber schon wenige Wochen später wurde auf Protest der Winzer hin in einem weiteren Erlass festgelegt, dass dieses Datum unter gewissen Umständen nicht bindend sei. Der Erlass gilt heute als offizieller Geburtstermin des Beaujolais Primeur alias Nouveau. Dubœuf schaffte es in den folgenden Jahren, den Verkaufsbeginn dieses Weins zu einem medialen Ereignis zu machen: 1967 wurde dafür einheitlich der 15. November festgelegt, seit 1985 gilt der dritte November-Donnerstag als Stichtag.

Die Maschinerie, die der später als „Papst des Beaujolais“ Apostrophierte in Gang setzte, war gewaltig, und alle Welt wollte bei dem Spiel mitmachen. In den Hochzeiten des Nouveau wurden die frisch gekelterten Weine mit großem logistischem Aufwand schon ein wenig vor dem offiziellen Verkaufsstart containerweise in alle vier Winde verschickt, um dann pünktlich am gleichen Tag unter gebührlicher Begleitung der Medien erstmals geöffnet zu werden. „Le Beaujolais Nouveau est arrivé“, der Nouveau ist angekommen, wurde zum Schlachtruf der hippen Gesellschaft von New York bis Tokyo.

Und die „crus“, die ja vor der Karriere des Nouveau durchaus anerkannt waren? „Nicht nur anerkannt. Die Morgons, Moulin-à-Vents, Fleuries waren ja wirklich große Weine, Weine, die hier im Gebiet sonntags aus dem Keller geholt wurden. Und natürlich gab es die auch weiterhin. Nur, dass sie langsam aus dem Bewusstsein der Leute verschwanden. Das hatte auch historische Gründe: Diese ‚crus‘ waren nämlich nie als ‚Beaujolais‘ vermarktet worden. Man fand sie auf den Karten der Restaurants und Weinhandlungen als ‚Bourgogne‘ mit dem Zusatz ihres Lagennamens. Das war vom Gesetz her möglich, denn das Beaujolais gehört weinbaurechtlich zum Burgund, und es war auch deshalb populär, weil man von gutem Gamay immer schon sagte, ‚il pinote‘, er zeigt Charakteristika des Pinots. Die ‚crus‘ waren also nie unter dem Namen Beaujolais wahrgenommen worden, das ließ sie rasch ins Hintertreffen geraten. Je mehr die Leute vom Beaujolais Nouveau sprachen, desto seltener tranken sie noch die ‚crus‘.“

Die berühmte Windmühle von Romanèche-Thorins gab der Appellation Moulin-à-Vent ihren Namen.

Das Schlimme war, dass mit wachsendem kommerziellem Erfolg ein qualitativer Niedergang des Beaujolais Nouveau einherging. Es gab damals eine bedeutende Persönlichkeit im Gebiet, Jules Chauvet, der die besondere Gärtechnik der Region immer extremer machte: Der Anteil der Trauben, die anfangs normal angegoren wurden, verringerte sich immer mehr, der Anteil derjenigen, die durch ihre eigenen Enzyme „vergoren“ wurden, immer größer. Das machte man, weil man entdeckt hatte, dass sich dadurch die Aromafülle des vergorenen Weins ins Extrem steigern ließ. Die Weine wurden noch fruchtbetonter, noch rascher trinkreif, noch „süffiger“, aber auch noch einfacher und noch weniger lagerfähig. Das gigantische Marketingmanöver namens „Beaujolais Nouveau“ hatte der einst sehr armen Region wirtschaftlich gut getan – zumindest erst einmal –, der Weinqualität aber nicht.

Es kam, wie es kommen musste: Auf den gigantischen Siegeszug folgte der gnadenlose Untergang. Janin erinnert sich: „Praktisch seit den 1990er Jahren kennen die Verkaufszahlen nur noch eine Richtung: abwärts. Zuerst nur in Frankreich, dann auch in historisch wichtigen Märkten wie Belgien. Heute ist auch der japanische Markt im freien Fall, und China oder andere neue Märkte können das nicht ausgleichen. Man klebt Pflaster auf Pflaster, aber die Wunde bleibt. Das Schicksal einer ganzen Region von einem Event abhängig zu machen, das kann eben nur eine Zeit lang funktionieren.“

Irgendwann verstanden auch die Winzer des Gebiets, dass da mehr auf dem Spiel stand als der Erfolg eines zeitlich beschränkten Marketingmanövers. Nach und nach setzte sich der Verdacht fest, dass nachhaltiger Erfolg auch etwas mit Weinqualität zu tun haben könne. „Und seit 10, 15 Jahren“, so Janin, „besuchen uns wieder mehr Journalisten, die sich für die in Vergessenheit geratenen ‚crus‘ interessieren. Heute ist Bewegung in den Weinbau des Beaujolais gekommen. Auf der Seite der ‚crus‘, glücklicherweise. Die Verbraucher besuchen wieder unsere Keller, Gastronomen, Weinhändler ebenfalls. Und wir haben junge Winzer, Weinmacher, die gut ausgebildet sind, deren Betriebe gut ausgestattet sind und die wieder Qualität produzieren. Schritt für Schritt. Qualität, die man vorher nicht zu erzeugen in der Lage war.“

Die besten Weine des Beaujolais kommen von den Granitböden der Hügel.

Heute ist Eric Janin wieder stolz, sich als „Winzer aus dem Beaujolais“ vorzustellen, „der Moulin-à-Vent keltert“ – Betonung auf dem Namen des „crus“. Die „vinification beaujolaise“ ist bei den meisten dieser jungen, qualitätsbesessenen Winzer wieder „out“. Nur der eine oder andere hält für einen Teil seiner Weine daran fest. Fast alle sind wieder zur klassischen Maischegärung zurückgekehrt. So wie Thibault Liger-Belair auf seiner Domaine des Pierres Roses, der mit seinen Moulin-à-Vent-Füllungen zusammen mit der Domaine Labruyère so etwas wie die Speerspitze der neuen Qualitätsbewegung bildet.

Die Bezeichnung „Beaujolais“ auf dem Etikett lassen viele der neuen Spitzenerzeuger ganz weg, wie die Domaine Bel Air in Lantigné, oder sie verstecken sie kaum auffindbar in Pflichtbezeichnungen für die angelsächsischen Märkte: „Beaujolais wine“.

Der Anfang ist gemacht, bleibt die Aufgabe, auch die Märkte von dieser neuen Qualität der „crus“ des Beaujolais zu überzeugen. Vielleicht gibt es ja dann doch irgendwann einmal ein Happy End der traurigen Geschichte vom Wein des dritten November-Donnerstags.

Dieser Artikel wurde zuerst in enos 2/2018 veröffentlicht.
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