Färb den Gebetsteppich mit Wein)

von Agnes Fazekas, Fotos von n.n.

Der Iran ist das Reich der Mullahs und ihrer religiös begründeten Herrscha™ . Alkohol ganz allgemein, Wein im Besonderen sind verpönt, ja verboten. Und das in einem Land, dessen berühmtester Dichter, šafeœ-e Širazi, im 14. Jahrhundert schrieb: „Komm nach Shiraz! Des heil’gen Geistes Gaben, sind bei den Söhnen dieser Stadt zu haben. Hier lockt dich aller Zauber ird’schen Lebens, und ihm zu widerstehn suchst du vergebens.“ Agnes Fazekas fuhr für enos in die islamische Republik, um dort eine Zivilgesellscha™ zu entdecken, die es sich trotz der Macht der islamischen Sittenwächter nicht nehmen lässt, mit Wein (und Marihuana) dem leiblichen Wohl zu frönen. Eine bedächtige Spurensuche*.

*Die Namen von Personen und Orten sind der Redaktion bekannt, werden aber zum Schutz der Protagonisten nicht genannt. Das gilt auch für den enos-Fotografen

Teheran ist eine trügerische Stadt – stets Zuckerguss auf den Gipfeln der Bergketten ringsum, die Parks apfelgrün. Doch gerade, wenn man tief Luft holen will, versagt die Postkartenkulisse der Acht-Millionen-Metropole. Dauersmog ist allerdings nur einer der Gründe dafür, dass es die Iraner zum Wochenende auf ihren Hausberg, den Totschāl, hinauf zieht.

Mit jedem Höhenmeter fällt nicht nur das Atmen leichter. Die Hidschabs, die für Frauen obligatorischen Kopftücher, rutschen in den Nacken oder werden gleich ganz in den Rucksack gepackt. In den Bachbetten lümmeln unverheiratete Paare bei Tee und Wasserpfeife auf wagemutig ins Wasser gestellten Diwanen. Kinder verkaufen am Wegrand Lavashak, das persische Fruchtgummi, herrlich sauer, und Schwarzhändler bieten verbotene Bücher von Osho oder Saint-Exupéry feil. Aus mobilen Lautsprechern zieht mal Mohsen Namjoos wehmütiger Folk über die Wanderwege, mal knattert Techno den Berg hinunter. Weiter oben, in einer Wegkehre, wiegen Männer und Frauen spontan die Hüften. Der Gottesstaat der Mullahs ist unter der Glocke
aus Abgasen zurückgeblieben.

Im Volksgetümmel kann es passieren, dass man zum Après-Hike und einer Runde Darts eingeladen wird. Oder besser, zu dem im Ofen versteckten Alkoholvorrat. Neben Selbstgebrannten wird dann durchaus trinkbarer Rotwein kredenzt. Die Trauben hat ein Kumpel in der Badewanne gestampft, gekauft hat er sie ganz legal auf dem Markt. Verboten ist nämlich nur das Keltern, nicht der Anbau von Trauben.

So erklärt sich die Tatsache, dass in dem Land, in dem seit der Islamischen Revolution von 1979 einerseits der Genuss von Alkohol streng geahndet, ja mit Geldstrafen, Peitschenhieben, gar Gefängnis bestraft wird, andererseits gut 400 Millionen Liter Alkohol im Jahr konsumiert werden – und das sind nur die offiziellen Zahlen des Teheraner Gesundheitsamts.

Gefahr und Genuss – so begann gemäß der Legende auch die Liebe der Perser zum Wein. In Persepolis, gut 900 Kilometer südlich des heutigen Teheran, soll einst ein König namens Dschamschid geherrscht haben, dem allerhand Erfindungen und zivilisatorische Neuerungen zugeschrieben werden. Weil Dschamschid seine geliebten Tafeltrauben ganzjährig genießen wollte, so die Legende, lagerte er sie in einem Keller. Als er seine Diener eines Tages um Nachschub bat, kamen diese nicht zurück – die Gase der gärenden Beeren hatten ihnen das Bewusstsein geraubt. Als sich dann noch eine zurückgewiesene Mätresse mit dem wohlschmeckenden Gift ins Jenseits zu befördern suchte, stattdessen aber gutgelaunt und singend vor dem König erschien, erhob dieser den Wein kurzerhand zum Nationalgetränk.

Traubenreste in sechs Tonkrügen, die in den persischen Zagros-Bergen gefunden wurden, konnten von Archäologen auf die Zeit vor 7.000 Jahren zurückdatiert werden, und auch die Achämeniden des Altpersischen Reichs sollen um die christliche Zeitenwende herum viel und gern Alkohol getrunken haben.

Davon erzählen die gut erhaltenen Reliefs von Persepolis. Herodot, der Geschichtsschreiber des antiken Griechenland, behauptet sogar, dass die Achämeniden den Rausch bewusst einsetzten, um über wichtige Fragen urteilen zu können. Welch Ironie, dass Alexander der Große die Stadt nach 200 Jahren Glanz im Rausch in Brand steckte – nachdem seine Truppen
ihre Weinkeller geplündert hatten.

Unweit von Persepolis liegt Schirāz, die gar nicht so heimliche Weinhauptstadt des Iran. Ein Dorf in Feierabenddistanz, dessen Namen Shirazis dem Reisenden ins Ohr raunen, ist eine der Sonderbarkeiten dieses Landes, das mehr denn je hin- und hergerissen scheint zwischen dem, was gemeinhin unter Orient oder Okzident verbucht wird.

Naqsch-e Rostam bei Persepolis mit den Gräbern achämenidischer Könige, unter denen die Perser viel und gerne tranken.

„Oh, Sie fahren heute hoch ins Dorf? Da werden Sie Spaß haben! Da ist es grün und es gibt einen Bach, und die Restaurants sind ... besonders“, lässt der Herbergsvater beim Frühstück anklingen.

Vorbei geht es an Neubauten mit asiatisch anmutenden, geschwungenen Ziegeldächern, bis dann unter Baumkronen und vor rötlich schimmerndem Fels die 4.000-Seelen-Gemeinde auftaucht, unter Touristen bekannt als „Insel der Seligen“ oder „Little Amsterdam“. Dem Parkwächter in seinem Häuschen hängt ein silbernes Kruzifix um den Hals. Es wird gemunkelt, dass die kassierte Gebühr direkt an die Polizei weitergeleitet wird. Die jungen Kerle auf der Straße, eingehüllt in Schwaden harzigen Rauchs, scheinen sich jedenfalls sicher zu fühlen.

Was sich wohl hinter der hohen Mauer mit dem Stacheldraht befindet? Plötzlich wirkt das Wandgemälde der Schäferin, die, selbst ein Bündel Kind auf dem Rücken, das Mäulchen des Lamms zu den Zitzen des Mutterschafs führt, wie das Wappen einer Geheimloge.

Dem jungen Mann mit den schweren Hippie-Zotteln und dem Kajal am Auge gehört eines der lauschigen Etablissements im Ort, die sich zwischen Bäumen und Bach in den Berg schmiegen. Es ist gleichermaßen Gästehaus und Dorfmuseum. Auf die Frage, ob hier noch Wein angebaut wird, wiegt er den Kopf, scheinbar einer transzendenten Erinnerung nachhängend. Oder schlicht noch müde von letzter Nacht? Er spielt in seiner Stube zwischen alten Schusterleisten und Sepia-Fotos Saxofon bei den Jam-Sessions junger Rucksackreisender.

Dann erzählt er, wie man in der Gegend früher die Trauben ansetzte, wenn eine Frau schwanger war, um den Wein dann zu trinken, wenn das Kind ein Jahr alt war. Er winkt eine junge Frau mit Nasenring und wilden Locken heran. Sie verschwindet und taucht eine halbe Stunde später mit einem Kelch bernsteinfarbener Flüssigkeit wieder auf.

 

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