Deutscher Pinot ’11

Deutscher Spätburgunder alias Pinot noir ist auf dem Vormarsch. Das haben erst in den letzten Tagen erst wieder zwei bekannte Weinautoren aus dem angelsächsischen Raum eindrucksvoll bestätigt. So schrieb der Brite Tim Atkin auf seiner Internetseite: "The other, more important thing was the impressive quality of the top wines. The words world class are over-used. But these Pinots were just that" (deutsch: "Der andere, wichtigere Aspekt dabei war die beeindruckende Qualität der (deutschen) Spitzenweine. Der Begriff Weltklasse wird häufig überstrapaziert. Aber diese Pinots waren genau das."). Und gerade heute finde ich auf www.winereviewonline.com einen Artikel aus der Feder von Ed McCarthy, der meint: "Pinot Noirs, known in Germany as Spätburgunders, are better than ever in certain regions, such as Baden" (deutsch: "Pinot noir, in Deutschland als Spätburgunder bezeichnet, ist in bestimmten Regionen wie etwa Baden besser als je zuvor"), eine Aussage, bei der wir höchstens hinter das besondere Lob für den badischen Pinot ein kleines Fragezeichen setzen würden, wie man gleich sehen wird.

Fast 400 Weine konnte ich in den letzten Monaten verkosten, sei es als Mitglied der Jury des Deutschen Spätburgunderpreises von Mario Scheuermann, sei es bei unseren eigenen Verkostungen, für die wir noch einmal Dutzende Einsendungen - teilweise hatten die Namen im Spätburgunderpreis gefehlt, teilweise wollten wir die Weine nachverkosten, weil die erste Probe nicht schlüssig war - erhalten hatten. Summa summarum, rechnet mal all die Zweit- oder gar Drittverkostungen hinzu, waren es gut 500 Flaschen, deren Inhalt wir begutachten konnten.

Das Ergebnis war trotz der hohen Erwartungen, die wir seit unserem letzten Spätburgunder-Report hegten, beeindruckend. Immerhin 38 Mal konnten wir unsere fünf Sterne verleihen, bei 23 weiteren mussten wir - noch! - ein kleines Fragezeichen hinzufügen, und 36 Weine besaßen das Potenzial, mit etwas mehr Reife eventuell noch in diesen Spitzenbereich vorzudringen. Natürlich, so werden Puristen jetzt anmerken, war auch diesmal kein Wein dabei, den wir als "Traumwein" auszeichnen mochten, ganz im Unterschied zum kürzlich veröffentlichten, deutlich schwächer beschickten Burgund-Report, in dem wir immerhin drei Muster dieses Attributs für würdig befanden. Aber die Breite des deutschen Spitzensegments ist und bleibt dennoch beeindruckend - wie man sieht auch nicht nur für uns, sondern auch für die internationale Weinwelt.

Dabei lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen: Lagen die Weine des Jahrgangs 2008 im Durchschnitt noch im 3-Sterne-Bereich, knapp unter der Grenze zu den vier Sternen, so konnten die 2009er diese Grenze deutlich übertreffen. Am besten gefielen uns dabei die Weine aus der Pfalz, aus Rheinhessen, Württemberg und von der Ahr, während das allseits gelobte Baden erst knapp dahinter einkam. Das einzige Gebiet, in dem uns die 2008er besser gefielen als die 2009er war der Rheingau, aber solche statistischen Vergleiche sind natürlich mit Vorsicht zu genießen, da wir nicht von jedem Jahrgang die gleiche Anzahl Weine und schon gar nicht solche von denselben Erzeugern verkosten konnten.

Es soll allerdings auch nicht verschwiegen werden, dass uns der teilweise sehr hohe Alkoholgehalt vieler 2009er durchaus Kopfzerbrechen bereitete. Dass dieser hohe Alkohol nicht mechanisch auf das sich verändernde Klima zurückgeführt werden kann, sondern dass da auch die Weinbergsarbeit, die Auswahl der Hefen und viele andere Faktoren eine Rolle spielen, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. In dieser Hinsicht bleibt also, trotz aller bisherigen Fortschritte, noch viel zu tun. Das gilt - mein leidiges Lieblingsthema - auch beim Kapitel der Flaschenverschlüsse. Wer heute immer noch der Meinung ist, Naturkork sei der beste Weinverschluss, der führe sich einmal aufmerksam die unzähligen Weine zu Gemüte, von denen wir Zweit- oder Drittproben verkosten mussten. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht schlecht Lust, darauf in Zukunft zu verzichten. Wer als Erzeuger Weine mit Naturkork verschließt, muss dann einfach damit leben, das seine Weine von uns als muffig, stinkend, kratzig oder bitter bewertet werden. Er hat es selbst in der Hand.

Nachtrag: Viel zu tun ist offenbar auch noch für die Winzer des VDP, die ihre Gewächse mit dem Label "Großes/Erstes Gewächs" vermarkten. Wenn man berücksichtigt, dass von unseren 20 Topweinen nur drei in diese Kategorie fielen, dann muss man wohl fragen, worin der Grand-Cru-Anspruch begründet ist. Wenn er nur dazu dient, die Preise künstlich in die Höhe zu treiben, kann der Verbraucher wohl ohne Probleme darauf verzichten.

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