Bordeaux Superstar

Ich gestehe, eine Verkostung auf so durchgängig hohem Niveau - mit Weinen einer einzigen Anbauregion und aus praktisch nur zwei aufeinanderfolgenden Jahrgängen - habe ich in meinen nunmehr über 30 Jahren als Weinjournalist noch nicht erlebt. Gegenstand der Probe waren die Bordeaux-Jahrgänge 2009 und 2010 - etwa im Verhältnis 2/3 zu 1/3 -, zwei Jahrgänge, die von vielen Kritikern bereits während der jeweiligen Primeurverkostungen als "Jahrhundertweine" gepriesen wurden. Und obwohl ich solch vollmundige Ankündigungen eigentlich hasse - zumal, wenn das Jahrhundert gerade mal 11 Jahre alt ist -, kam auch ich zwei Monate lang aus dem Staunen nicht mehr heraus, so grandios war das, was ich da immer wieder im Glas hatte.

Insgesamt waren es 330 Weine, die ich dank einer Einladung des Weinbauverbands CIVB und der tatkräftigen Mithilfe des Conseil des Grands Crus Classés en 1855 sowie der Association des Grands-Crus Classés de Saint-Émilion während einer kurzen Reise im vergangenen November und bei ausgedehnten Nachverkostungen in Hamburg begutachten konnte. Selbst nach Hamburg hatten von 135 angeschriebenen Châteaux immmerhin 100 Muster geschickt - darunter eine Reihe von Fassproben des 2010ers -, eine Quote von der ich bei Verkostungen deutscher Weine oft nur träume. Und ich vergab Noten, wie ich sie in dieser Höhe zuvor noch nie vergeben hatte - nur die Weine des Jahrgangs 1982 konnte ich im Schnitt ähnlich gut bewerten, wobei ich von diesem Jahrgang bis heute allerdings nur gut drei Dutzend der größten Gewächse im Glas hatte, nicht 100 oder gar 200 vom einfachen Bordeaux bis zum Premier Grand Cru Classé.

Sage und schreibe ein Drittel der insgesamt verkosteten Weine erhielt eine Wertung von fünf Sternen (oder besser), schwächere Wein musste man mit der Lupe suchen. Dass die 2010er sogar noch etwas besser abschnitten als die 2009er, kann dabei auf eine einzige Eigenschaft zurückgeführt werden: ihre Harmonie. Wenn die 2009er durch ihre Kraft und Üppigkeit überzeugten, überstrahlten die 2010er sie schon jetzt in der übergroßen Mehrheit der Châteaux durch ihre klassische, makellose Eleganz und Ausgewogenheit. Natürlich muss man bei diesem Vergleich berücksichtigen, dass es sich bei den Weinen des Jahrgangs 2010 um Fassmuster handelte, die in einigen - wenigen (!) - Fällen dem gefüllten 2009er desselben Châteaus so haushoch überlegen waren, dass man sich fragen musste, ob da nicht ausgesprochene "Schokoladenfässchen" zur Verkostung angestellt worden waren. Lagerfähig sind beide Jahrgänge allemal, und wer die größten Gewächse auf ihrem Höhepunkt kennenlernen will, wird sich wohl noch 20 oder mehr Jahre gedulden müssen.

Das Schönste an der Verkostung und ihren Resultaten aber war: Nicht nur die superteuren Lafites und Margaux zeigten sich auf überragendem Niveau, sondern auch Weine, die man für 15, 20 oder 30 Euro im Handel findet bzw. finden wird. Ihnen ist der Château Palmer zu teuer? Dann sind sie mit dem Alter Ego de Palmer fast genauso gut bedient. Sie haben gerade nicht die mehr als 1.000 Euro für einen Lafite oder einen Margaux in der Portokasse? Macht nichts! Versuchen Sie es einfach mit einigen der Crus Bourgeois für (relativ) "kleines Geld".

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