Dieser Verkostungsreport hätte auch zu einem totalen Desaster werden können. Die Idee, nach längerer Zeit einmal wieder die Weine des Valpolicella-Gebiets zu verkosten, die ich aus meiner Zeit beim italienischen Weinführer Gambero Rosso gut kannte, war entstanden, als ich die Einladung zur "Amarone-Anteprima" erhielt, einer Veranstaltung, die analog zu den Vorbildern im Piemont und der Toskana seit einiger Zeit alljährlich im Januar veranstaltet wird. Was ich nicht wusste: An der Anteprima in Verona nahm das beste Dutzend Erzeuger gar nicht erst teil, da es seit mehr als einem Jahr mit dem Weinbauverband über Kreuz liegt und seine eigenen Brötchen backt.
Zurück in Hamburg, musste ich deshalb eine zweite Verkostung organisieren, zu der ich nicht nur die in Verona abwesenden Erzeuger einlud, sondern auch diejenigen, die in Verona mit ihren Weinen einen guten Eindruck hinterlassen hatten - es waren, um ehrlich zu sein, nicht allzu viele. So konnten wir dann - zum Glück für den Gesamteindruck - auch die Masis, Quintarellis, Dalfornos oder Venturinis verkosten, die in Verona gefehlt hatten.
Der Grund für das insgesamt kontrastreiche bis enttäuschende Bild: Mit der gigantischen Ausweitung der Produktion in den letzten Jahren von 5 auf 12 Millionen Flaschen ist einem Großteil der Erzeuger der Provinz Verona schlichtweg der Wein abhanden gekommen - geblieben ist nur Alkohol, könnte man glauben. Galten die 15 bis 16 Vol. % der Weine von Quintarelli oder Masi in den 1990er-Jahren noch als hoch oder gar spektakulär, so stellen sie heute eher die Untergrenze beim Amarone dar - 17 oder gar an die 18 % gelten dagegen schon fast als normal. Um die daraus resultierende übertriebene alkoholische Schärfe wenigstens einigermaßen zu kompensieren, werden die Weine mit einer Restsüße gefüllt, die man früher allenfalls von etwas trockeneren Recioto-Varianten kannte, nicht aber von Valpolicella Superiore oder Amarone. Aromen, Geschmack, Eleganz und Struktur dagegen? In den meisten Fällen Fehlanzeige!
Grund dafür sind mitnichten irgendwelche Klimakatastrophen, sondern eine Mischung aus veränderter Weinbergsarbeit, verlängertem und immer effizienterem "appassimento" (Trocknen der Trauben nach der Ernte) und immer "stärkeren" Reinzuchthefen, wie mir der vormalige Direktor des Valpolicella-Konsortiums, Emilio Fasoletti, bestätigte. Winzer, die ich nach dem Warum des hohen Alkohols und der langen Trocknungsperiode fragte, bestätigten mir, dass sie gerne schneller gären würden, aber immer die Genehmigung vom Konsortium für das Maischen der Trauben abwarten müssten - und die käme halt immer sehr spät. Fasoletti, ironisch, ja sarkastisch über die neuen Alkoholbomben: "Was willst Du denn? Das verkauft sich doch wie geschnitten Brot. Die Russen lieben das!"
Das bedauerliche Resultat dieser Entwicklung kann man in unseren Verkostungsnotizen lesen. Natürlich fanden wir eine ganze Reihe schöner oder sehr schöner Weine, aber auch am unteren Ende der Bewertungsskala war der "Andrang" groß. Während beim Amarone der hohe Alkohol dabei wenigstens noch teilweise durch große geschmacklich-aromatische Fülle wettgemacht wurde, waren die meisten Ripasso-Weine von einer inakzeptablen Disharmonie zwischen brandigem Alkohol, dünner Substanz und klebrig-trockenen oder gar bitteren Tanninen geprägt. Ein Zukunftsmodell ist das in meinen Augen nicht.